Viele Menschen glauben, dass Veränderung vor allem über den Verstand passiert. „Wenn ich das Problem nur oft genug bespreche, verstehe und analysiere, dann kann ich es hinter mir lassen. Ich nehme mir vor, dieses Verhalten zu ändern, dann klappt das schon.“ Doch oft zeigt sich in der Therapie, dass reine Gespräche nicht genügen, um tief verwurzelte Muster zu verändern. (Anmerkung: Ein großer Teil meiner KlientInnen hat bereits Erfahrung mit gesprächsbasierten Ansätzen wie Verhaltenstherapie, tiefenpsychologischer Therapie oder verschiedenen Coachingansätzen und erzählen mir im Erstgespräch oft, dass diese Therapieformen ok waren, sie einiges gelernt hätten über sich selbst – aber dass sie an einem bestimmten Punkt nicht weiterkommen.)
Warum ist das so? Weil unser Körper nicht bloß eine Hülle für unseren Geist ist – er ist ein aktiver Erinnerungsspeicher, er trägt unsere Geschichte in sich. Jede Erfahrung, besonders die prägenden aus unserer frühen Kindheit, hinterlässt Spuren in unserem Nervensystem. Und bevor unser bewusster Verstand eine Situation erfassen kann, hat der Körper oft schon reagiert – in Bruchteilen von Sekunden, ganz automatisch, wie ein gut eingespieltes Alarmsystem. Vielleicht kennst Du das selbst – da ist ein Geräusch, eine Stimme, ein Geruch, ein Bild – und Du spürst, wie Du Dich anspannst oder auch entspannst. Erst im Nachhinein kannst Du Dir oft erklären, warum das so war.
Hier sind fünf Gründe, warum tiefgehende und nachhaltige Veränderung deshalb nicht allein durch Reden geschehen kann.
(Anmerkung: Ich bin auch Pragmatikerin. Natürlich gibt es viele Anliegen, die erfolgreich rein kognitiv gelöst werden können. Ich spreche in diesem Artikel von Problemen, Themen, Anliegen, die scheinbar ein „Eigenleben“ führen, an denen wir schon lange herumgedoktort haben, die uns immer wieder ein Bein stellen, man könnte auch „Selbstsabotage“ dazu sagen oder „Und täglich grüßt das Murmeltier“, automatische Verhaltensweisen, die wir einfach nicht in den Griff bekommen.)
- Der Körper reagiert schneller als der Verstand
Hast du schon einmal erlebt, dass du in einer Situation Herzklopfen bekommst, deine Muskeln sich anspannen oder dein Bauch sich zusammenzieht – noch bevor du bewusst verstehst, was los ist?
Unser Nervensystem ist darauf ausgelegt, in Bruchteilen von Sekunden auf potenzielle Gefahren zu reagieren. Dieser Vorgang heißt „Neurozeption“. Das Nervensystem scannt permanent unsere Umwelt und unser Inneres danach ab, ob wir sicher sind oder bedroht. Das bedeutet, dass unser Körper schon längst in den Kampf-, Flucht- oder Erstarrungsmodus schalten kann, bevor unser Verstand überhaupt realisiert, dass wir uns unsicher oder bedroht fühlen.
-> Gerade weil der Körper so schnell reagiert, reicht es nicht, nur über Erfahrungen zu sprechen. Wir können lernen, diese körperlichen Reaktionen wahrzunehmen und neu zu regulieren. Und zwar über den Körper. - Unverarbeitete Emotionen stecken im Körper fest
Emotionen sind nicht nur Gedanken – sie sind körperliche Zustände. Wut äußert sich zum Beispiel durch eine angespannte Kiefermuskulatur, hochgezogene Schultern oder geballte Fäuste. Angst spüren wir oft als Enge in der Brust oder als Druck im Magen. Freude als ein weites Gefühl im Brustkorb.
Wenn wir Emotionen nicht vollständig durchleben oder ausdrücken konnten, weil sie in der Vergangenheit unterdrückt wurden, bleiben sie als körperliche Spannungen oder unbewusste Muster gespeichert. Natürlich gibt es oft gute Gründe dafür, dass wir die Emotionen nicht gefühlt oder ausgedrückt haben. Und gleichzeitig sind diese guten Gründe oft in der Gegenwart nicht mehr relevant. Die Folgen davon – z.B. in Form von chronischen Verspannungen, Schmerzen und anderen Symptomen – spüren wir heute aber noch.
-> Durch Gespräche allein können wir diese körperlichen Blockaden nicht lösen – wir müssen sie auf der Ebene des Körpers bearbeiten. - Der Verstand kann täuschen, der Körper nicht
Viele Menschen sind sehr gut darin, ihre wahren Gefühle mit Worten zu verbergen – selbst vor sich selbst. Der Verstand kann rationalisieren, bagatellisieren oder erklären: „Ach, das war doch nicht so schlimm.“ Doch der Körper erzählt eine andere Geschichte.
Ein Beispiel: Jemand spricht in der Therapie scheinbar ruhig und gelassen über eine belastende Kindheit. Doch währenddessen sind die Hände eiskalt, der Atem flach, die Schultern hochgezogen, die Füße wippen unablässig. Der Körper zeigt also etwas ganz anderes als die Worte.
-> Indem wir den Körper einbeziehen, können wir tiefer liegende emotionale Wahrheiten erkennen, die dem Verstand vielleicht gar nicht bewusst sind oder sein wollen. - Nachhaltige Veränderung braucht neue körperliche Erfahrungen
Alte, festgefahrene Muster ändern sich nicht durch Nachdenken – sie ändern sich durch neue Erlebnisse. Wenn jemand z. B. in seiner Kindheit gelernt hat, dass Nähe gefährlich ist, kann er sich das zwar kognitiv erklären. Aber wirklich verändern kann sich dieses Muster erst, wenn er körperlich eine neue Erfahrung von Sicherheit in Verbindung mit anderen macht.
In der körperorientierten Psychotherapie kann das bedeuten:- Atem- und Körperübungen, um sich sicherer im eigenen Körper zu fühle
– Sanfte, intuitive Berührungen oder Bewegungen, um neue Erfahrungen von Nähe und Geborgenheit zu ermöglichen
– Übungen zur Selbstregulation, um das Nervensystem neu auszubalancieren
-> Echte Veränderung geschieht, wenn der Körper spürt und erlebt, dass eine andere Reaktion möglich ist. - Der Körper erinnert sich – auch wenn der Verstand vergisst
Unser Kopf kann Erinnerungen verdrängen oder vergessen, aber unser Körper speichert sie oft dennoch. Deswegen erleben viele Menschen scheinbar unerklärliche Stressreaktionen, Ängste oder Blockaden in bestimmten Situationen, ohne genau zu wissen, warum. Die Funktion des (unabsichtlichen) Verdrängens oder Vergessens ist übrigens oft lebenswichtig, gerade bei schwierigen oder traumatischen Erfahrungen. Relevant wird dieses Thema dann, wenn wir im Hier und Heute unerklärliche (körperliche) Reaktionen erleben. Manche Menschen zweifeln dann sogar an sich selbst.
Zum Beispiel:
– Ein Mensch hat als Kind oft Ablehnung erfahren – und spürt heute unbewusst eine Anspannung in sozialen Situationen, selbst wenn er sich dessen nicht bewusst ist.
– Jemand wurde in einer Beziehung oft kritisiert – und fühlt sich automatisch klein und unsicher, wenn ihn jemand anspricht, auch wenn objektiv keine Gefahr besteht.
-> Wenn wir nur mit Worten arbeiten, bleiben diese Muster oft bestehen. Erst wenn der Körper in den Heilungsprozess einbezogen wird, kann er lernen, alte Erinnerungen loszulassen.
Fazit: Reden ist wichtig – aber nicht genug
Gespräche helfen, Dinge zu verstehen. Doch tief verankerte Muster lassen sich nicht allein durch Einsicht verändern. Der Körper muss mit einbezogen werden, weil er Erinnerungen speichert, automatisch reagiert und oft tiefer liegende Wahrheiten zeigt als der Verstand.
Körperpsychotherapie hilft, diese körperlichen Muster bewusst wahrzunehmen und zu verändern. Durch achtsame Körperarbeit, Bewegung und gezielte Übungen können wir alte Prägungen lösen und neue, heilsame Erfahrungen machen. Denn echte Veränderung geschieht nicht nur im Kopf – sie muss auch im Körper spürbar werden.
Literaturempfehlungen: