7 mögliche Ursachen für Angst und Panik

Neulich wurde ich gefragt, ob auch Menschen mit Ängsten in meine Praxis kämen und falls ja, wie ich damit arbeite. Ja, sehr viele Menschen kommen mit diesem Thema zu mir. Angststörungen sind noch vor Depressionen die häufigsten psychischen Erkrankungen über­haupt. Allein in Europa leiden rund 60 Millionen Menschen daran, ungefähr zwölf Millionen davon in Deutschland. Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer (was natürlich daran liegen kann, dass Frauen meistens offener mit dem Thema psychische Probleme umgehen). Diese Schätzung wurde vor der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg gemacht. Hätte man danach geschätzt, wären die Zahlen wohl noch deutlich höher.

Und wie ich mit Ängsten arbeite? Die Antwort auf diese Frage fällt deutlich komplexer aus, so komplex wie das Phänomen Angst eben ist. Zum Einen kann Angst ganz verschiedene Ursachen haben. Zum Anderen kann sich die Angst in vielen unterschiedlichen „Gesichtern“ zeigen. In diesem Blog versuche ich, einige Ursachen für Ängste zu beschreiben.

In meiner Praxis für systemische und körperorientierte Therapie in Mannheim arbeite ich mit verschiedenen Schwerpunkten – und das Thema Angst steht wie gesagt sehr weit oben auf der Liste der Anliegen meiner Klienten. Oft wird es zunächst gar nicht so benannt, sondern kommt erst später zur Sprache. In anderen Fällen ist es das primäre Anliegen, z. B. wie gehe ich mit Panikattacken um?

Solange die Angst sich auf eine reale Gefahr bezieht, ist sie lebenswichtig und völlig gesund. Doch warum werden Menschen scheinbar aus heiterem Himmel von existenziellen Angstgefühlen überfallen und erleben Panikattacken, die mit Herzrasen, Schwindel, Schwitzen und dem Gefühl, sich nicht mehr unter Kontrolle zu haben, verbunden sind? Es gibt viele Theorien für die Ursachen von entgleisten Ängsten. Und es ist sehr wichtig, die Ursachen zu verstehen, denn danach richtet sich die Therapie. Die folgende Liste enthält einige mögliche Ursachen (bestimmt gibt es noch mehr). Meistens ist es übrigens eine Kombination aus verschiedenen Ursachen.

Ursache 1: Missachtete Warnsignale der Seele, quasi ein Weckruf

Wenn wir zu lange unsere eigenen Bedürfnisse übergehen, überhören, meldet sich irgendwann die Seele und vielleicht auch der Körper. Anfangs mit kleinen Zeichen, später mit massiven Signalen. Das „unzufriedene“ Unterbewusstsein verschafft sich also Gehör – z. B. durch Antriebsschwäche, Kraftlosigkeit, scheinbar grundlose Traurigkeit, aber auch durch Ängste und – sehr massiv – durch Panikattacken. Körperliche Warnsignale sind oft mit den psychischen Signalen verbunden, das können Magenprobleme sein, Rückenschmerzen, Verspannungen usw.

Ursache 2: Panikattacken als Stellvertreter und somit Schutz vor einer lang überfälligen Veränderung

Panikattacken sind definitiv keine Krankheit, sondern vielmehr ein „Liebesdienst“ unseres Unterbewusstseins, um uns vor Schlimmerem zu bewahren, z. B. noch länger in die falsche Richtung zu laufen, der eigenen Spur nicht zu folgen, in dem Job weiterzuarbeiten, obwohl man ihn schon längst nicht mehr mag… Wenn Sie auf die Signale der Seele (siehe Ursache 1) nicht hören, greift Ihre Psyche eben manchmal zu härteren Mitteln. Körperliche Reaktionen zwingen Sie dann quasi dazu, mit bestimmten Dingen aufzuhören oder sie zumindest zu überdenken.

Ursache 3: Anhaltendes negatives Denken und Zweckpessimismus

Menschen mit Angststörungen neigen dazu, katastrophisierende Gedanken zu haben oder ständig das Schlimmste zu erwarten. Andersherum gesagt, können entgleiste Ängste auch durch ständiges Grübeln und negatives Denken entstehen. Wenn man z. B. nach einer einzelnen Panikattacken anfängt zu grübeln, was die Ursache dafür gewesen sein könnte, welche Krankheit, vielleicht ein krankes Herz, sich in der Notaufnahme untersuchen lässt und dort die Information bekommt, dass „alles in Ordnung“ sei, beginnt für manche Menschen damit erst der Angstkreislauf. Jedes Symptom wird ängstlich begutachtet, Symptome werden gegoogelt, weitere Ärzte konsultiert… Und genau dieses Verhalten kann zu weiteren Panikattacken führen.

Ursache 4: Angst und Panik als Folgen eines Traumas und Teil einer Belastungsreaktion oder einer posttraumatischen Belastungsstörung

Panikattacken nach traumatischen Ereignissen können eine Reaktion auf intensive Stress- oder Angstzustände sein, die durch die versuchte Verarbeitung des Traumas ausgelöst werden. Traumatische Erlebnisse können das Nervensystem so stark beeinflussen, dass Panikattacken eine Reaktion auf bestimmte Trigger oder Erinnerungen an das Ereignis werden. Dabei reagiert die Psyche in der Gegenwart so, als läge das traumatische Ereignis nicht in der Vergangenheit. Das Nervensystem ist immer noch in „erhöhter Alarmbereitschaft“ und kann sich durch kleine Erinnerungen oder Trigger in Form von Angst oder Panik melden.

Ursache 5: Ein tiefsitzendes Gefühl der Unsicherheit

Unser autonomes Nervensystem (ANS) hat die Fähigkeit, Signale aus der Umwelt und aus dem eigenen Körper aufzunehmen und zu klassifizieren. Dieser unbewusst und rasend schnell ablaufende Prozess heißt Neurozeption. Mit Hilfe der Neurozeption werden Signale als sicher, gefährlich oder lebensbedrohlich eingeordnet. Wir spüren nicht die Neurozeption selbst, sondern die Reaktionen unseres Körpers und körperliche Empfindungen, die wir den drei Zuständen des ANS zuordnen können, z. B. eine Verspannung im Nacken oder eine Kurzatmigkeit. (Weitere Informationen zum Nervensystem und zur Polyvagal-Theorie siehe auch in meinem Blog-Post Anleitung zum Glücklichsein).

Wenn über die Neurozeption (also dem Abscannen des eigenen Innenlebens, der Umgebung und der zwischenmenschlichen Beziehungen)- nun signalisiert wird, dass wir bedroht sind – aus welchen Gründen auch immer – erleben wir Angstsymptome.

Ursache 6: Organische Ursachen

Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder Schilddrüsenprobleme können Angstgefühle verstärken. Auch bestimmte Nahrungsmittel können Symptome verursachen oder verstärken, die wir mit Panik oder Angst assoziieren (Herzrasen, Atemnot, Schweißausbrüche).

Falls eine Bandscheibenvorwölbung oder ein -vorfall im C5/C4/C3-Segment der Halswirbelsäule vorliegt, kann es zu angst- und panikartigen Symptomen kommen. Die Bandscheibe drückt auf den Zwerchfellnerv (nervus phrenicus), der das Zwerchfell innerviert. Diese Reizung des Nervs kann die Funktion des Zwerchfells beeinträchtigen und u. a. zu Atemnot und einem Engegefühl in der Brust führen.

Ursache 7: Drogen und Medikamente

Bestimmte Medikamente oder der Missbrauch von Substanzen wie Koffein, Alkohol oder Drogen können Angstzustände hervorrufen oder verschlimmern.

Zusammenfassung und Fazit

Ängste entstehen oft durch das Zusammenspiel mehrerer dieser Faktoren. Für viele Menschen ist es ein schrittweises, kumulatives Phänomen, das sich im Laufe der Zeit entwickelt. Genaues Hinspüren und Hinhören lohnt sich – die Angst soll nicht mit Medikamenten ausgeschaltet, auf irgendeine Weise „bekämpft“ oder „besiegt“ werden, vielmehr würde ich dazu raten, die wahren Auslöser der Angst zu entlarven, vielleicht sogar im Rahmen einer Therapie. Und dann wohl überlegt die passenden Schritte zu unternehmen.

Literaturempfehlungen:

Baker, Roger: Wenn plötzlich die Angst kommt. Panikattacken verstehen und überwinden. SCM R. Brockhaus, 2023.

Bernhardt, Klaus: Panikattacken und andere Angststörungen loswerden. Ariston, 2016

Hüther, Gerald: Biologe der Angst. Wie aus Stress Gefühle werden. V&R, 2009

Hüther, Gerald: Wege aus der Angst. Über die Kunst, die Unvorhersehbarkeit des Lebens anzunehmen. V&R, 2020

Jochims, Inke: Meistere den Stress. Eine Einführung in die Polyvagal-Theorie. Books on demand, 2020.

Pusch, Anja: Tigerfeeling für die Seele – Der Angst begegnen mit CANTIENICA Körper in Evolution. Tredition, 2023.